Sonntag, 6. April 2014

Was ist Wahrheit?

"Was ist Wahrheit?" das ist die klassische Frage, die von den Verfassern der christlichen Schriften dem römischen Statthalter Pontius Pilatus in den Mund gelegt worden ist und vor Ostern vielerorts vorgelesen werden wird. - Ein kryptischer Ausspruch, ein Rätsel? Wohl nicht, meint Vattaunsa. Als Vertreter einer auf Vorherrschaft und Stabilität ausgerichteten Supermacht musste Pilatus in einer komplizierten Welt religiöser Eiferer und Reinheitsfanatiker, korrupter Landesfürsten und zerstrittener Clans den Einfluss seiner Auftraggeber sichern. Bestenfalls war er Agnostiker und seine berühmte Frage nur Zynismus: "Was ist Wahrheit? Ach lasst mich doch in Ruhe mit euren kranken Moralvorstellungen. Wo man hinschaut nur Lüge. Die Wahrheit ist die Lüge der anderen und umgekehrt."

Als weit entfernter Beobachter fällt es schwer, allein aus den Nachrichten zu begreifen, wer da welche Rolle spielt und welche Interessen verfolgt. Die Desinformation, die historischen Vorurteile und die Unkenntnis über die Geschichte betreffen vor allem die Medien selbst. Wie kann man sich ein Bild von der Lage in der Ukraine machen, wenn die durch Reportagen verbreiteten Protagonisten einer gerechten Sache im nächsten Augenblick schon wieder diskreditiert werden, nicht selten durch eigenes Dazutun. Wie kann man der kommenden ersten Frau im Lande, Julia Tymoschenko, vertrauen, wenn über ihre jüngsten Äußerungen und Handlungen so berichtet wird?

Darum ist es schon ein Glücksfall, wenn man einen oder eine Betroffene persönlich kennt und darum auf die Wahrheit einer Stellungnahme zur Lage in der Ukraine Schlüsse ziehen kann. Das kann ich bei Lena Dworaks Worten:
"Meine Meinung zu der Krym-Krise in Kürze: Ich bin russischsprachige Ukrainerin, daher kann ich allen versichern, dass die Geschichten über die Benachteiligung der russischen Minderheiten in der Ukraine total übertrieben und meistens aus der Luft gegriffen sind. Es gibt sozusagen keine russischsprachige Minderheiten in der Ukraine. Alle Ukrainer die älter als 30 Jahren sind russischsprachig (wegen der Sovjetunion) und trotzdem Ukrainer!"
Besondere Beachtung verdient imho ihre Darstellung im letzten Absatz ihres Facebook-Posts vom 2. April 2014, in dem sie schildert, wie eine tiefgreifende Feindschaft der Völker im Entstehen begriffen ist:
Früher habe ich auf die Frage "woher ich komme" immer geantwortet, dass ich russisch bin, da russisch meine Muttersprache ist. Das werde ich niemals mehr sagen. Ab jetzt bin ich geborene Ukrainerin und ich bin sehr stolz auf mein Heimatland, dass gerade versucht Ordnung und Recht in der Ukraine aufzubauen.
In Deutschland verbreitet sich dieser völlig verfehlte Vergleich vom "kleinen kalten Krieg" in den Medien mit solcher Hartnäckigkeit, dass sich die Geschichte allein deshalb wiederholt, weil wir an die self fulfilling prophecy glauben.

Das einzig Wahre daran: Europa droht wie in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg zum Spielball der Supermächte zu werden, diesmal aber aus purer Blödheit in den Köpfen. - Testfrage: Wo steckt hier der Fehler:
"April, April! von Wolfgang Lieb
Mit der gestrigen Eilmeldung „Putin und Obama verständigen sich auf eine europäische Friedensordnung“ wollten wir Sie – einem uralten Brauch folgend – „in den April schicken“."
Viele Leser des Blogs "NachDenkSeiten" fanden diese "Ente" so verführerisch, dass sie sie erstmal geglaubt haben. Nach der Auflösung des Aprilscherzes bedauerten viele, es wäre ja auch zu schön gewesen um wahr zu sein. - Wie war das?! Fast alle wären mit einer Einigung der Supermächte über die politische Ordnung in Europa glücklich gewesen?! Es ist wohl leider so. Auch bei vielen Politikern hat man denselben Eindruck: Erst spielen sie mit den ukrainischen Oppositionellen "Wir sind das Volk!" Und wenn Russland dies für eine ungünstige Entwicklung hält und der Geschichte nicht tatenlos zusehen will und eingreift, dann versteckt Europa sich wieder hinter der NATO.

Noch glaubt keiner daran, Putin sei kein kalter Krieger. Auch Obama nicht. Zu eng und intensiv die internationalen Verflechtungen. Wenn das mal nicht dergleiche Irrtum wäre, dem Europa schon einmal vor 101 Jahren aufgesessen wäre beim Ausbruch des Ersten Weltkriegs. Bezeichnend für damals war der unglaubliche Leichtsinn bei der Kriegserklärung und der folgende Starrsinn im Stellungskrieg. Beides halte ich auch unter den heutigen Vorzeichen für unwahrscheinlich. Entscheidend aber für die Entwicklung im WK1 war, dass die anfangs noch fehlende Feindschaft der Völker gegeneinander dann doch unvermeidlich folgte.

Was Lena Dworak schildert könnte in der Ukraine von heute auf eine noch längere Gratwanderung zwischen nationaler Selbstbestimmung und kriegerischer Feindschaft hinauslaufen. Die Politik muss sie schnellstens entschärfen, indem sie die Möglichkeiten zu Missverständnissen restlos ausräumt und dem Volk eine Stimme gibt, die jeder verstehen kann.

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