Spiegel-Online bespricht heute Hartmut Rosa: "Beschleunigung und Entfremdung".
Ausgangsthese ist die Feststellung, es existiere die paradoxe Situation von Beschleunigung auf der einen Seite, z. B. bei der Produktion und auch bei der Nutzung, die auf der anderen Seite nicht zu der erwarteten Ersparnis an Zeit und zu mehr Handlungsfreiheit des einzelnen führt, sondern zu weiterer Beschleunigung und Zwängen. Das dabei vorherrschende individuelle Freiheitsgefühl täusche die Mehrheit der Menschen darüber hinweg, dass die tatsächlichen Bedingungen uns alle immer in die weitere Beschleunigung ziehen.
Für seine Analyse bemüht der Autor den linkskritischen Begriff "Entfremdung" - ein anderes Wort für Rousseaus "Naturzustand", also die Setzung eines Paradigmas, das absolut gesetzt wird. Dieses war im 20. Jahrhundert Teil u.a. der sog. Kritischen Theorie und krankte eindeutig an der Deutungshybris der sie vertretenden intellektuellen Elite und ich frage mich WTF (warum das jetzt)?
Im besten Fall fühle ich mich noch an die "Grauen Männer" in Michael Endes Kinderbuchklassiker "Momo" erinnert, quasi eine naiv-kritische Personifizierung des Beschleunigungsprozesses nach dem Gut-Böse-Schema, aber ohne Anspruch auf eine realistische Erklärung der Wirklichkeit. Ist außer dem Phänomen noch mehr Erkenntnis zu gewinnen?
Im Buch folgen Beschreibungen der Auswirkung von Beschleunigung auf die Gesellschaft: dem Verlust von Sinn, weil angeblich immer mehr Menschen "abschnallen", der Ohnmacht der Politik, die nicht mehr planen könne, sondern bestenfalls den Wandel begleiten oder auf die Folgen reagieren.
Erinnerungen an die deutsche Romantik und Schwermut im 19 Jahrhundert kommen mir, wenn vom neuen Biedermeierzeitalter unter Angela Merkel gesprochen wird.
Die politische Geschichtskritik kommt imho klar ans Ende ihrer Möglichkeiten, wenn Hobbes Staats-Leviathan in Gestalt des Beschleunigungs-Monsters auftritt. Da schnall ich jetzt auch ab.
Alarm: Jetzt unbedingt einen Schritt zurücktreten und den spezifisch deutschen Bias (Angst, Schwermut, Romantik, Naturzustand) isolieren. Das Problem entsteht, wenn mit alten Begriffen ein neuer Zustand analysiert wird, Stichwort #Neuland. Immer nur zu problematisieren ohne das Neuland zu betreten und die alten Begriffe hinter sich zu lassen, kann nur zu Schwermut und Pessimismus führen. Eine Betrachtung ohne Perspektive nach vorn will ich nicht lesen.
Das räumt der Autor in seinem Schlusswort übrigens selber ein. Er habe die positiven Entwicklungspotentiale vernachlässigt und eigentlich nur zeigen wollen, dass man "kritisch" analysieren und diskutieren könne. Auch habe er keine elitäre Besserwisserei vor, sondern wolle zeigen, dass die Möglichkeit, sich kritisch mit der Welt auseinander zu setzen, abhanden komme. Was soll das jetzt schon wieder?
140 Seiten geistige Leibesübungen nach dem Motto: schön, ich kanns noch, um dann festzustellen: Moment mal, es interessiert sich eigentlich keiner mehr dafür? - Und weg damit! (Fehlt nur noch, dass der Harmut gleich hier kommentiert und sich bedankt, dass ich ihn verstehe.)
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