Donnerstag, 29. Januar 2015

Therese Berger ist tot.

Die Nachricht traf mich heute besonders:

Bielefeld (WB). Therese Berger ist tot. Die Schauspielerin sei in der vergangenen Nacht gestorben, teilte das Theater Bielefeld am Mittwochnachmittag mit.

Und auf der Webseite des Theaters Bielefeld steht dazu:
Zuletzt brillierte sie seit Oktober 2012 in über 50 Vorstellungen als Rosel im gleichnamigen Stück von Harald Müller. Für ihre Schauspielkunst erhielt Therese Berger zahlreiche Auszeichnungen.
Und das zu recht, wie ich aus eigener Anschauung sagen kann.

Therese Berger (c) Philipp Ottendörfer
Therese Berger (c) Philipp Ottendörfer

Das Stück von Harald Mueller erzählt die niederschmetternde Lebensgeschichte einer Frau „Rosel“ in den 50er-Jahren, die bei der Suche nach Liebe und Geborgenheit stets an den Falschen gerät und dabei immer tiefer abstürzt. Stefan Brams schreibt in der NW:
"Doch statt Liebe, Freundschaft, Zärtlichkeit und Wohlleben gibt’s Suff, Missbrauch, Gewalt, Vergewaltigung. … Ganz unten ist sie jetzt. Und Werner wird der schlimmste Typ in ihrem Leben. Er schickt sie auf den Strich, schlägt sie, lässt sie von einem Dutzend üblen Typen vergewaltigen, als sie nicht mehr kann, nicht mehr will, krank wird über den Irrsinn ihres Lebens. Ein erschütterndes Bild, gespielt von der am Boden kauernden Therese Berger."
Berger Therese spielt Rosel (c)Matthias Stutte
Berger Therese spielt Rosel (c) Matthias Stutte
Doch in der Inszenierung von Christian Schlüter und Dramaturgin Viktoria Göke gibt es eine nicht im Original enthaltene Wendung am Schluss, sehr unerwartet:
"Dann packt Rosel ihre Sachen, tritt ab. Ihr Lebensmonolog ist beendet. Alle ihre Männer entern die Bühne. "Danke für den schönen Abend", ruft sie noch ins Publikum und geht, als wäre nichts gewesen.“ (s.o.)
Gesehen habe ich das Stück nur einmal in voller Länge. Aber bei ca. 40 Vorstellungen stand ich während der letzten 20 Minuten im Foyer vor der Tür, hinter der die grausame Schlussphase mit professioneller Härte von Therese Berger vor stets ausverkauften Rängen im kleinen TAM3 gespielt wurde. Zu hören war: Stühle umwerfen, Gläserklirren, Verzweiflungsschreie. Zu diesem Zeitpunkt hatte die Berger das Publikum bereits seit über einer Stunde fest im Griff und zog es in den Abgrund dieser desolaten Existenz. Die deprimierende Wirkung war bis ins Foyer zu spüren.



"Die Männer von Rosel“ warten im Foyer auf ihren Auftritt - (c) Alexander Kowalak 2013 - cc-by-nc-sa
"Die Männer von Rosel“ warten im Foyer auf ihren Auftritt
(c) Alexander Kowalak 2013 - cc-by-nc-sa
Das Publikum war gefangen, schockiert, vielleicht traumatisiert von der Vorstellung, über 50 mal immer wieder. Das spürten wir, die 20 männlichen Statisten, wenn wir ganz am Schluss plötzlich den Saal enterten, den Therese Berger gerade mit höchst unerwarteter Zuversichtlichkeit verlassen hatte. In der Bielefelder Inszenierung treten nämlich alle miesen Typen, die sich das Publikum während der Schilderungen seit 90 Minuten ausgemalt hat, auf die Bühne, die sich drehend in Bewegung setzt, und singen den Jazz-Song: „Say, its only a paper moon sailing over a cardboard sea. But it wouldn't be make-believe if you believed in me.“

Ein skurriler Sieg über alle Erniedrigungen, die das Leben zu bieten hatte. Ein Effekt, der vom Publikum jedes Mal anders aufgenommen wurde: Von Totenstille über verlegenes Hüsteln, beklommenes leises Lachen bis zu befreitem lautem Lachen - jede Abstufung dazwischen habe ich gehört, immer gefolgt von einem Applaussturm, wenn Therese Berger wieder vor das Publikum trat.

Aus Erleichterung darüber, dass sie ihr alle geistigen und körperlichen Kräfte verzehrendes Spiel nun hinter sich hatte. So habe ich es gedeutet. Anschließend verabschiedete sich Frau Berger auch hinter der Bühne mit fröhlicher Leichtigkeit von den Mitwirkenden sehr zu meiner erleichterten und zugleich verdutzten Verwunderung.

Ich hoffe, der Abgang von der Bühne des Lebens ist ihr ganz genauso gelungen. R. I. P.

"Say, its only a paper moon
Sailing over a cardboard sea
But it wouldn't be make-believe
If you believed in me."

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